Bisher fuhr Carsten Wien zehntausend Kilometer Rennrad und mehr pro Jahr, nun ist es deutlich weniger, der Grund ist dennoch sportlich: Im Sommer hat er mit Freunden und Trainingspartnern die „Schicke Mütze“ eröffnet – Café, Fahrradladen und Werkstatt in einem Düsseldorfer Hinterhof. Wir waren dort, haben uns umgesehen und mit ihm gesprochen.
Carsten, beschreibe doch mal für den, der jetzt keine Gelegenheit hat, nach Düsseldorf zu kommen, was die „Schicke Mütze“ ist.
Schicke Mütze ist eine Kombination aus Café, Fahrradwerkstatt und Laden. Wir kommen alle aus dem Radsport, fahren schon lange zusammen Rad und haben vor fünf Jahren die Klassikerausfahrt gegründet. Da fahren wir mit klassischen alten Rädern im Umland von Düsseldorf und haben dann irgendwann gemerkt, dass uns das so viel Spaß macht und wir uns alle so prima finden, dass wir irgendwas machen müssen, was darüber hinausgeht. Dieter Mauermann, der den Gastronomiebereich betreut, kommt aus der Branche und hat gesagt, wenn er noch mal irgendwie eine gastronomische Unternehmung in seinem Leben macht, dann wird das ein Radcafé.
Wir fanden die Location toll, wir haben einen sehr schönen Innenhof hier in Düsseldorf gefunden, einen der letzten in der Innenstadt, der noch nicht bespielt wurde, wo keiner da war, der Gastronomie macht. Den Raum hier kenne ich seit zwanzig Jahren als Radwerkstatt, im Vorderhaus war ein Radladen und ja, dann haben wir gedacht ok, wir ziehen das hier durch. Das war ein bischen kompliziert, weil das Konzept mit einer Kombination aus Werkstatt, Café und Laden auch für ein Bauamt erst mal relativ ungewöhnlich ist und eine komplette Nutzungsänderung her musste, das hat aber dann irgendwann funktioniert. Der Jan ist dann dazugekommen, der auch mit uns fährt und der seit Jahren auch schraubt und dann sagte, ok, ich kümmere mich bei Euch um die Räder.
Kerstin macht mit Konrad und mir zusammen den Laden und hat sich im Vorfeld um die ganze Gestaltung gekümmert und sehr viel gemacht, auch was die Sortimentsauswahl angeht. Wir finden das gut dass mittlerweile immer mehr Frauen aufs Rennrad steigen und das nicht so eine Männderdomäne bleibt. Julia ist bei der Gastro mit dabei, insgesamt sind wir also zu sechst – ein Team!
Die Klassikerausfahrt hast Du erwähnt, was habt ihr denn noch an Veranstaltungen geplant?
Wir sind in der Winterpause der Klassikerausfahrt, die findet immer statt von März bis September. Wir werden jetzt noch mal zum Ausklang der Saison ’ne Geschichte machen, die sich „Dicke Hose“ nennt, das wird eine etwas sportlichere Ausfahrt für Leute, die auch gerne mal ein bischen drauftreten und die so die hundert Kilometer überschreiten wollen, auch mit ein paar Höhenmetern dabei. Das heisst, es geht jetzt ins Bergische, wir sind da gerade in der Streckenplanung und haben schon sehr nette Sachen gefunden.
Anschließend wird die Winterschlampenparade beginnen, das ist ’ne sehr erfolgreiche Geschichte, die wir im letzten Jahr hier begonnen haben. Das war auf wöchentlicher Basis und immer sonntags, da standen dann teilweise bis zu fünfzig Leute da, die mit uns gefahren sind, zwei bis drei Stunden, je nach Wetter und wie kalt es ist, flach fahren damit man nicht so ins Schwitzen kommt und irgendwie so immer schön entspannt radeln, um die Grundlagenausdauer hinzukriegen Das waren immer sehr sehr nette Leute und das war komplett frei von dieser Klassikergeschichte, das heisst da ist es egal mit welchem Rad man kommt, irgendwie muss man nur stolz auf seine „Winterschlampe“ sein und dann geht’s los. Das hat riesig Spaß gemacht und das werden wir wahrscheinlich ab Ende November auch wieder starten.
Bedeutet das, dass es dann auch jenseits der asphaltierten Straßen langgeht?
Genau, wir fahren eh gerne Wirtschaftswege, wir mögen nicht diese Landstraßen, wo man so ’ne Dreiviertelstunde lang am Seitenstreifen immer nur geradeaus fährt. Wir haben es dann eher mit so Sachen, die ein bischen kurvig sind und gerne so Wirtschaftswege, gerade linksrheinisch kann man im Winter so flache Strecken fahren, die sehr wenig Autokontakt haben und da trotzdem ordentlich was zusammenkurbeln.
Die Ausfahrten finden ja draußen statt, macht Ihr hier im Laden irgendwas an Veranstaltungen, die sich im Dunstkreis Fahrrad bewegen?
Direkt von Anfang an war uns wichtig, dass die Schicke Mütze ein öffentlicher Raum wird, das heisst, dass auch kulturelle Veranstaltungen hier stattfinden. Gerne mit Radbezug, aber wenn es irgendwas ist, was uns gefällt, auch ohne Radbezug. Wir haben angefangen mit einer Veranstaltung der Poesieschlacht in Düsseldorf, da gibt es eine Reihe die heisst Hinterhoflesung und die hat dieses Jahr auch bei uns stattgefunden. Das war jetzt ohne Radbezug, das war so eine Poetry-Slam Geschichte, sehr interessant, davon gibt’s auch einige Videos zu sehen bei YouTube
Und dann hatten wir Muskat hier, ’ne Band, ein Bandprojekt aus Düsseldorf/Köln die so ’ne Radtour gemacht haben, mit ’nem Lastenrad sind die durch Nordrhein-Westfalen gefahren und haben unterwegs Konzerte gegeben, die haben hier Station gemacht und haben gespielt. Wir hatten Bettina Hartz hier zur Lesung aus ihrem Buch „Auf dem Rad – Eine Frage der Haltung“ und werden jetzt irgendwie in dem Bereich weitermachen, weil uns das Spaß macht.
Wir würden auch gerne Filme zeigen, mit den Velosophen hatten wir eigentlich einen Termin angedacht, die sind allerdings jetzt gerade in Zeitdruck und schaffen das nicht das zu realisieren, da war so ein Multimediaauftritt geplant. Die sind mit Rädern von Düsseldorf aus einmal durch Südamerika gefahren und haben sehr, sehr viel erlebt, sicherlich auch ein interessantes Projekt, was wir jetzt zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen.
Und dann werden wir noch was machen mit Rahmenbauern, das heisst, dass Rahmenbauer ihre Art vorstellen, wie ein Rahmen gebaut wird.
Apropos Rahmen, um noch mal auf den Laden zu kommen – bei dem Sortiment fällt auf, dass es schon sehr ausgewählte Marken sind, wie würdest Du das Repertoire beschreiben? Ist das beschränkt auf das Umfeld von klassischen Stahlrahmen, dem nötigen Zubehör und der passenden Retrokleidung?
Was Du beschreibst, war einer der Auslöser, diesen Laden zu gründen. Als wir angefangen haben, uns für alte Räder zu interessieren und uns damit beschäftigt haben, dass man die nicht nur restauriert sondern auch gerne fährt und dann die Verbrauchsmaterialien benötigt, haben wir unheimlich oft gehört, wenn wir in Läden gegangen sind, gibt es nicht, nee kann man nicht mehr kriegen und und und, und wir sind alle keine so großen Freunde vom Internethandel. Wir mögen Austausch zwischen Menschen vor Ort und finden es gut, in Läden zu gehen, das ist ja auch ein Austausch der da stattfindet und der uns wichtig ist. Wir fanden das immer komisch, wenn man dann im Netz geschaut hat, fand man immer irgendwelche Sachen, die man in dem Bereich kaufen konnte, aber es gab halt keinen Laden weit und breit, der so was gemacht hat und dann haben wir gesagt, ok, wenn wir das hier hinbekommen mit unserer Kombination mit Café und allem, dann ist das auf jeden Fall die Grundlage unseres Sortiments, einfach die Sachen, die wir in den letzten Jahren woanders vermisst haben.
Hat den Vorteil, dass wir hier in Düsseldorf auch nicht so als Konkurrenz von den Radläden angesehen werden, sondern dass jeder versteht, dass wir so was wie ’ne Ergänzung sind, weil das Zeug hatte hier eh keiner, da hat sich keiner drum gekümmert und wir haben das so ein bischen jetzt auf den Schirm gebracht und momentan merkt man halt, dass sehr viele Leute da auch unserer Meinung sind und die Sachen schön finden.
Allerdings haben wir keine Berührungsängste mit modernem Zeug. Wir fahren ja sowohl alte Räder als auch Hybride, die schon moderne Teile dran haben, und finden es auch wichtig, da irgendwie vernünftige Sachen anzubieten, die man heute ganz normal ohne diesen Retrogedanken führt. Ein vernünftiger Reifen ist einfach ein vernünftiger Reifen, der darf auch schwarz sein und muss keine braunen Flanken haben, das ist egal, den kann man an jedes Rad schrauben – oder besser gesagt aufziehen (lacht) – und deshalb sind wir da ohne Berührungsängste.
Wichtig ist uns, dass wir Sachen haben, die wir selber gut finden, wir wollen nicht in so einer Beliebigkeit enden, dass wir uns einfach nur Zeug hinstellen nach dem Motto „kann man gebrauchen“. Und dann finden wir es gut, wenn wir Firmen haben, die ’ne gewisse Haltung haben. Also bei De Marchi gibt es einen sehr interessanten Hintergrund zum Beispiel, die haben früher alles für die amerikanischen Firmen gefertigt, Trek, Canondale, und und und, alles was an Klamotten von denen kam, wurde letzten Endes von De Marchi produziert, fast alles in Fernost irgendwann, wie das so ist, dieser Preisdruck der dann ensteht. Und De Marchi haben vor ein paar Jahren da den Stecker gezogen, haben sich wieder zurückgeschraubt auf das was sie können und gerne machen wollen, das heisst, die Sachen werden nur noch in Italien gefertigt, es wird italienisches Material verarbeitet und man legt Wert auf Nachhaltigkeit. Und das sind so Geschichten, die uns wichtig sind. Wir haben uns auch erst entschlossen, mit Giro zusammenzuarbeiten, als die uns bestätigt haben, dass die Merinowolle, die sie benutzen, auch wirklich aus Neuseeland kommt und frei von Mulesing ist.
Kannst Du kurz erklären, was Mulesing ist?
Mulesing macht man mit den Merinoschafen, die sind eh alle überzüchtet, die haben sehr sehr viele Hautfalten und es gibt das Problem, dass sich da teilweise Fliegenmaden im Darmtrakt einnisten und es wird gerne so gemacht, dass man den Tieren bei lebendigem Leib einfach die Haut am After immer wieder abreißt, damit das vernarbt und diese Fliegen sich dort nicht einnisten können. Das ist eine groteske Geschichte, dass man Tiere so quält, um irgendwie ’ne Profitmaximierung zu erreichen. Und das macht halt Giro nicht, die holen ihre Merinowolle ausschliesslich von mulesing-freien Farmen aus Neuseeland. Man kann nicht alles irgendwie in der Hand haben und ich glaube heutzutage ist das auch enorm schwierig, auf alles seinen eigenen Stempel draufzudrücken und zu sagen, das ist total fair, das ist total gut, aber wir achten einfach darauf und das sind so Kleinigkeiten, die jeder in der Hand hat und das ist uns wichtig.
Frage zum Abschluss: Wieviel Kilometer bist du dieses Jahr radgefahren?
Zu wenig, definitiv, wegen der Schicken Mütze. Das heisst, die Sommersaison ist komplett ausgefallen, ich kann’s Dir nicht sagen, aber ich würde sagen, es läuft auf irgendwas so um die sechs-/siebentausend, vielleicht achttausend im Jahr zu. Letztes Jahr waren es über zehn und da wäre ich eigentlich auch dieses Jahr gerne wieder hingekommen. Zielsetzung wird sein, dass wir im nächsten Jahr, sobald dann wieder Sommerzeit herrscht, versuchen auch abends hier so ein zwei Ausfahrten anzubieten, die man dann selber guided und wo man sagt, ok, da gibt’s dann halt einmal so ’ne Ausfahrt für Leute, die gerade das Rennrad für sich entdecken und am anderen Abend dann eine für Leute, die so ’n bischen schneller unterwegs sein wollen und dass wir so dann halt auch unser Vergnügen mit dem Laden noch weiter verknüpfen indem wir sagen, hier starten wir mit ’ner Tour zweimal in der Woche und helfen anderen Leuten bei dem Einstieg ins Rennradfahren.
Ja, dann weiterhin viel Erfolg und Danke für das Gespräch.
Vielen Dank für das Interview.
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(Das Gespräch führte Martin für Elfritzel am 22.10.2014 in Düsseldorf.)
Adresse:
www.schickemuetze.de
Talstr. 22-24 Hinterhaus
40217 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Radausstatter und Schrauberei
Di bis Fr 14:00 bis 20:00 Uhr
Sa 10:00 bis 18:00 Uhr
Café
Di bis Sa: 10 bis 18 Uhr
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